Effekte à la carte

Eventide H9 im Test

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Multi-Effektpedal von Eventide, weiß
(Bild: Dieter Stork)

 

Studiosound im Kleinstformat: Nach ModFactor, TimeFactor, PitchFactor und dem Space Effekt-Prozessor bietet Eventide jetzt mit dem H9 ein kleines weißes Monster an. Kann es alles, oder noch mehr?

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Konzept des Eventide H9

Eventide-Geräte gehören seit Jahrzehnten zur Luxusklasse der Effektprozessoren. Lange war ein Eventide eher eine Investition für professionelle Studios oder gut betuchte Musiker mit experimentellen Neigungen. Die Factor-Serie hat dies vor fünf Jahren geändert. ModFactor (Ausgabe 11/2008), TimeFactor (Ausgabe 09/2008), Eventide Space (Ausgabe 01/2012) und PitchFactor richten sich an Musiker mit gehobenen Ansprüchen und mittlerem Budget. Der H9 Effektprozessor bringt nun alle drei Geräte der Factor-Reihe und den Eventide Space unter ein Dach bzw. in ein noch kleineres Gehäuse. Der H9 ist ein Delay, ein Hallgerät, ein Chorus oder ein Harmonizer, ganz wie man will. Wie das Eventide Space und die einzelnen Factor-Geräte verwendet der H9 sogenannte Algorithmen. Einen Effektalgorithmus kann man sich als eine Art Programmierstruktur mit unterschiedlichen Parametern vorstellen. Ein Delay Algorithmus kann zum Beispiel Parameter haben wie: Länge des ersten Echos, Länge des zweiten Echos, Wiederholungen, Modulation, Klangfarbe, Mischung etc.. Je mehr Algorithmen und Parameter ein Effektgerät hat desto besser. Aus Algorithmen erstellt man wiederum Presets. Der H9 kann davon intern 100 abspeichern.

 

Algorithmen des Eventide H9

Algorithmen sind das A und O des H9. Reden wir ab jetzt der Kürze halber und weil es freundlich klingt, von „Algos“. Ab Werk enthält das H9 neun vorinstallierte Algos. Den bekannten Eventide Bodentretern wurden je zwei entnommen. Einer wurde exklusiv für das H9 programmiert. Weitere Algos können über den Apple Appstore oder im Amazon Store für je € 17,99 einzeln dazu gekauft werden. Dazu braucht man eine Apple ID bzw. ein Amazon Konto. Vom Eventide Space findet man vorinstalliert die Algos Hall und Schimmer.

Alle übrigen Space Algos sind als Download erhältlich (Room, Plate, Spring, Dual Reverb, Reverse Reverb, ModEchoVerb, BlackHole, MangledVerb, TremoloVerb, DynaVerb). Vom PitchFactor kommen die Algos H910/H949 und Crystals (als Download: Diatonic Shifter, Quadravox, HarModulator/Chromatic Shift, MicroPitch, PitchFlex, Octaver, HarPeggiator, Synthonizer). Der ModFactor wartet mit Chorus und TremoloPan auf (als Download: Phaser, Q-Wah, Flanger, ModFilter, Rotary, Vibrato, Undulator, RingMod). Der TimeFactor liefert Vintage Delay und Tape Echo (Download: Digital Delay, Mod Delay, Ducked Delay, Band Delay, Filter Pong Delay, MultiTap, Reverse). Einzig beim TimeFactor fehlt einer der ursprünglichen Algos: der Looper. Es bleibt zu hoffen, dass die Looper Funktion nachgereicht wird oder in weiterentwickelter Form angeboten wird. Dafür böte sich ein H9 exklusiver Algorithmus an. Das Gerät will natürlich auch mit eigenen Algos punkten. Zum Zeitpunkt dieses Tests ist ein UltraTap Delay vorinstalliert. Die Bedienungsanleitung beschreibt einen weiteren Resonator-Algo, der jedoch noch nicht online verfügbar war. Weitere H9 exklusive Algos sollen folgen.

Neun Algos sind also vorinstalliert. Für einen zusätzlichen gibt es einen Coupon. Die Algos sind gerätegebunden, tauschen geht also nicht. Presets können von einem Gerät zum anderen übertragen werden, aber nur wenn das andere Gerät den dazu benötigten Algo auch installiert hat. Denken wir mal hypothetisch und rechnen knallhart durch: Um den H9 zu einem vollwertigen Mod-Time-, Pitch-Factor und Eventide Space zu machen, müsste man 33 Algos à € 17,99 kaufen, was zusätzlich zum Kaufpreis € 593,67 kosten würde. Das wäre am Ende immer noch eine Ersparnis von ca. 600 bis 700 Euro gegenüber dem Kauf aller vier Geräte.

Für einen kompletten TimeFactor müssten wir sieben Algos nachkaufen und kämen auf Downloadkosten von € 125,93. Beim Mod- bzw. Pitch-Factor wären es je € 143,92 (je acht Algos) und € 179,90 für ein komplettes Eventide Space (10 Algos). Erfahrungsgemäß nutzt jedoch niemand alle Algos solch komplexer Effektprozessoren. Realistisch wird man sich vielleicht bis zu zehn kaufen.

Fair ist, dass alle Algos vor dem Kauf getestet werden können. Verbindet man den H9 mit dem Internet kann man jeden noch nicht gekauften Algo täglich für fünf Minuten mit dem eigenen Instrument anspielen und editieren. Mit der H9 Control Software stehen auch ohne einen H9 kurze Hörbeispiele zur Verfügung (trocken und mit Effekt), die beliebig oft angehört werden können.

 

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Alles im Blick: Ein ModFactor Preset … (Bild: Dieter Stork)

 

Design und Praxis

Das robuste Metallgehäuse wirkt road-tauglich. Ein helles, 6-stelliges, alphanumerisches LED-Display zeigt Preset-Namen bzw. Parameter und Werte an. Vier kleine LEDs rechts davon geben Auskunft über Signalpegel, Blue-Tooth- und Editier-Status. Unter dem Display befinden sich fünf beleuchtete Drucktaster. Sie dienen dem Editieren bzw. dem unmittelbaren Zugriff auf vorher zugewiesene Parameter (X, Y, Z) sowie der Preset- Auswahl (Presets).

Die „Hotknob“-Taste erlaubt es, ähnlich einem Expression-Pedal, beliebige Parameter-Kombinationen gleichzeitig zu steuern. Wird nun also einer der fünf Taster gedrückt, so leuchtet er, und der schwarze, mittig platzierte, große Endlosdrehregler, der auch als Schalter fungiert, wird aktiviert. Dieser Regler ist „Dreh- und Angelpunkt“ und eine Besonderheit des H9. Ein Leuchtring umrandet ihn und gibt optische Orientierung über die ihm zugeordneten Werte. Man kann und soll ihn auch mit dem Fuß bedienen. Diese Konstruktion ist innovativ und clever (Applaus!).

Zur langfristigen Belastbarkeit traue ich mich jedoch nicht, eine Prognose abzugeben. Vertraut sind dagegen die beiden Fußschalter mit LED am unteren Ende des Geräts. Der linke Schalter (Active) aktiviert das Preset, der rechte (Tap) schaltet durch die Preset-Kette bzw. dient der Tap-Tempo-Eingabe. Gleichzeitiges Treten aktiviert ein Stimmgerät, wobei der Leuchtring gute Dienste bei der Feinstimmung leistet.

Wie wechselt man die Presets? Über den Drehschalter geht es sehr schnell, dazu muss jedoch die Presets-Taste gedrückt sein. Live bietet sich eher die Variante an, eine Handvoll Presets in eine Reihe zu bringen und sich mit dem rechten Fußschalter durchzusteppen. Richtung und Anzahl sind einstellbar. Ein externer Fußschalter kann das auch übernehmen. MIDI erlaubt die Einbindung in einen komplexeren Aufbau.

Rückseitig finden sich je zwei Ein-, und Ausgänge im Klinkenformat, eine Buchse für einen Controller (Expressionpedal oder Schalter) und ein Mini USB Port. Obwohl beim H9 auf kleinstem Raum eine Vielzahl von Schaltern und Anschlüssen untergebracht sind, wirkt es nicht überladen sondern handlich. Nach der üblichen Eingewöhnung wirkt das Gerät übersichtlich und logisch.

 

Klang des Eventide H9

Wie von Eventide gewohnt, ist der Klang des H9 erstklassig, detailliert, transparent, aber warm. Eine einzelne Erörterung der Algos würde den Rahmen hier sprengen. Für einen Eindruck aus erster Hand empfehlen sich die Hörbeispiele des Editors und einige Eventide-Videos im Netz. Nähere Beschreibungen der Effektalgorithmen finden sich in den Factor-Testberichten in den oben genannten Ausgabe, ausserdem gibt es kostenfreie Algo-Beschreibungen und Anleitungen der Eventide Webseiten. Vier Geräte in eines zu packen, könnte den Eindruck eines Multieffektgerätes erwecken. Der H9 ist jedoch kein Multieffektgerät im klassischen Sinne. Nur je ein Algo kann aktiv sein. Allerdings haben viele Algos auch mehr als einen Effekt. Das Gerät kann Mono oder Stereo betrieben werden. Je zwei Eingangs- und Ausgangsbuchsen bedienen intelligent alle gängigen Setups. Eingangs- und Ausgangspegel sind separat regelbar. True Bypass erfreut den Klangpuristen.

 

Echtzeitsteuerung

Schon die Factor-Serie erfreute mit ihrer Expression-Pedal-Implementation. Auch beim H9 lassen sich ein oder mehrere Parameter gleichzeitig und in Echtzeit mit einem Expression-Pedal steuern. Sowohl Regelbereich als auch Richtung sind programmierbar. Die Expression-Pedalbuchse am Gerät kann alternativ auch für bis zu drei Schalter verwendet werden (Spitze, Ring und Spitze+Ring). Der programmierbare Hotknob ist eine tolle neue Idee und kann wie ein Expression-Pedal genutzt werden. Die Bedienung mit den Füßen ist jedoch aufgrund der Platzierung über den beiden Fußschaltern etwas gewöhnungsbedürftig. Gesteuert werden kann natürlich auch über MIDI. Die MIDI-Implementation ist gründlich und entspricht den Factor-Pedalen. Freunde des rhythmischen Echos freut, dass die Tap-Tempo Funktion pro Preset oder global eingestellt werden kann.

 

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… und ein PitchFactor Preset im H9 Control Editor. (Bild: Dieter Stork)

 

Editor

Der Wert eines Effektprozessors steigt und fällt mit seinem Bedienungskomfort. Der H9 lässt sich zwar auch ohne Peripherie programmieren, elegant und übersichtlich wird es aber erst mit dem kostenlosen Editor „H9 Control“. Die Bedienoberfläche erinnert an das Layout der Factory-Geräte. Auch wer noch nie ein Eventide-Gerät bedient hat, findet sich schnell zurecht. Eine Info-Box erklärt bei Bedarf alle Parameter eines Algos. Kleiner Wermutstropfen: Die Software ist nur in Englisch zu haben. Der Editor bietet kompletten Zugriff auf alle Presets, Parameter und Systemeinstellungen. Wem 100 geräteinterne Speicherplätze zu wenig sind, der kann am Rechner eigene Presets anlegen, arrangieren, archivieren und wieder aufspielen. Der Editor bietet über das Gerät hinaus noch zwei weitere, sehr coole und moderne Bedienelemente: Einen Ribbon Controller und ein XY Pad, beides interessante Features für experimentelles Looping, DJs, Postproduction etc. Wer iPad oder iPhone sein eigen nennt, kann „drahtlos wischen“ à la Kaoss Pad.

Die „H9 Control“-Software gibt es für Mac und PC sowie iOS Geräte (iPhone und iPad). Eine Android-Version soll folgen. Einfach das mitgelieferte USB-Kabel anschließen und mit dem Gerät der Wahl verbinden und schon kann es losgehen. Die zweite Option der kabellosen Steuerung über Bluetooth ist voll im Trend und funktioniert.

 

Resümee

Ein Highend Effektprozessor, voll programmierbar, individuell erweiterbar, mit Echtzeitsteuerung und das alles auf 11×13 cm Wohnfläche … Glückwunsch! Der H9 führt vier professionelle Effektprozessoren in ein Gehäuse. Die Sounds von Eventide Space, ModFactor, TimeFactor, PitchFactor können ganz nach individuellem Bedarf zusammengestellt und eingekauft werden. Der H9 ist nicht billig, sondern gut. Das Gerät spricht sowohl den Freund des edlen Klangs als auch den passionierten Sound-Tüftler an und ist nicht nur für Gitarristen und Bassisten interessant. Der kostenlose Software Editor macht Freude. Die Bluetooth Option hat ihren eigenen Reiz. Schön, wenn Technologie Spaß macht und so gut klingt. Nicht zuletzt: Wer ein Pedalboard besitzt, hat immer Platzprobleme. Keine freie Stelle, kein weißer Fleck. Der H9 kann einige Geräte ersetzen und schafft Platz. Für den Autor gehört das kleine weiße Monster H9 in die Top Ten der interessantesten Produkte 2013.

 

Übersicht

Fabrikat: Eventide

Modell: H9

Typ: Effektpedal

Herkunftsland: China

Speicher: 100 Presets intern, am Rechner quasi unbegrenzt.

Effekte: Modulation, Delay, Hall, und Harmonizer (je 2 Algorithmen der Factor-Reihe bzw. vom Eventide Space) sowie ein H9 exklusives Multi-Tap Delay ab Werk. Weitere Algorithmen als kosten-pflichtige Downloads.

Software: H9-Control kostenloser Editor (www.eventide.com)

Anschlüsse: 2 Klinkeneingange: 600 kΩ, 2 Klinkenausgange: 470 kΩ, Empfohlene Lastimpedanz 10 kΩ oder großer, Klinkenbuchse fur (optionalen) Fustaster oder Expressionpedal, USB 2.0 Interface (Mini-B), MIDI In, MIDI Out/Thru, Netzteil Buchse (2,5mm × 5mm, +Pol innen)

Tasten/Schalter/Regler: funf Auswahltasten (Hotknob, X, Y, Z und Preset) mit LED, ein Endlosdrehregler/Schalter mit Leuchtring, zwei Fusschalter

Display/LED: 6 stelliges alphanumerisches LED-Display, separate LEDs fur Blue Tooth aktiv/gekoppelt, Edit-Status, Signalpegel/ Ubersteuerung, Preset Active (An/Aus), TapTempo

Strom: Eventide Netzteil (9V/DC, 500mA) im Lieferumfang enthalten

Maße und Gewicht: 118 × 133 × 50 BHT/mm, 0,7 Kg

Vertrieb: Sound Service,

15834 Rangsdorf

www.sound-service.eu

Preis: 713

 

Plus

  • Klang
  • Expression-Pedal-Steuerung
  • Editor
  • kompaktes Design

Minus

  • Editor nur auf Englisch
Produkt: Treble Booster im Test
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